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Schwarzwald-Baar-Kreis
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Eine Lesungswoche mit Lilly Lindner

Lilly Lindner nimmt das Publikum mit wie hier im Kirchensaal der Zinzendorfschulen

Beeindruckende Veranstaltungen im Schwarzwald-Baar-Kreis mit drei Lesungen an Schulen und zwei öffentlichen Lesungen

Dem Musiker und Musiklehrer Steffen Vogt aus Villingen gelang es, die Bestseller-Autorin Lilly Lindner aus Berlin für eine Lesungswoche vom 9. - 13. November 2015 im Schwarzwald-Baar-Kreis zu gewinnen. Er hatte an seiner Seite als Mit-Organisatoren Hannes Bürner und Roland Brauner von der Freizeitwerkstatt der Lions-Clubs von Villingen und Schwenningen sowie Max Bammert vom WEISSEN RING, Außenstelle Schwarzwald-Baar-Kreis. Lilly Lindner musste vielfältig Gewalt erfahren, an ihrem Körper, an ihrer Seele. Sie war erst sechs Jahre alt, als sie von einem Nachbarn regelmäßig vergewaltigt wurde. Mit 13 Jahren erkrankte sie an Magersucht, mit 17 wurde sie zusammen mit anderen Frauen von mehreren Männern brutal missbraucht, mit 21 beschloss sie, ihren Körper in einem Edelbordell zu verkaufen. In diesen zwei Jahren verarbeitete sie ihre schrecklichen Erlebnisse in der Autobiografie „Splitterfassernackt“, die sie später ergänzte durch das Buch „Winterwassertief“. Lilly Lindner kann auf mehr als 300 Lesungen an Schulen im ganzen Bundesgebiet verweisen - „fast“ in ganz Deutschland, weil sie kaum Einladungen aus dem Süden der Republik erhält. Vor der Lesungswoche im Schwarzwald-Baar-Kreis war sie erst zweimal im Süden bzw. Südwesten: 2014 in Freiburg und 2015 in Stuttgart. Es war also eine Premiere, diese Lesungswoche mit drei Schul-Lesungen in Villingen, Schwenningen und Königsfeld sowie zwei öffentlichen Lesungen, je eine in Villingen und in Schwenningen. Während der Vorbereitung der Lesungswoche bekam das Organisationsteam sehr deutlich zu hören und zu spüren, dass Unsicherheiten und Ängste vor der Auseinandersetzung mit dem Thema „sexuelle Gewalt“ in Form einer Lesung (durch eine Betroffene) vorhanden waren. Konnte oder durfte man Schülerinnen und Schüler mit diesem Thema so hautnah konfrontieren? Andererseits war das Motto der Lesungswoche nicht zufällig „Hinschauen, handeln!“ Diese Form der Gewalt ist „kein leichter Stoff, doch wegsehen und nicht zuhören funktioniert nicht“ (Sabine Naiemi, SÜDKURIER). Die hohe Zahl der Opfer verlangt nach öffentlicher Diskussion. In vielen Gesprächen mit Befürwortern und Gegnern einer Lesungswoche mit Lilly Lindner kristallisierten sich die Kriterien heraus, nach denen die Lesungen - vor allem die drei Lesungen an Schulen - stattfinden sollten:
  • Kindern und Jugendlichen wird vermittelt, dass sie „NEIN!“ sagen sollen/müssen, ihr Körper ihnen allein gehört, dass sie offen über ihre Gefühle sprechen und gezielt Hilfe und Unterstützung einfordern dürfen/müssen und dass sie keine Schuld tragen, wenn sie Opfer von Gewalt werden.
  • Die Teilnahme muss den Schülerinnen und Schülern freigestellt werden. Daraus folgt, dass die Lesungen überwiegend in der unterrichtsfreien Zeit stattfinden und nicht automatisch im Klassenverband besucht werden.
  • Die teilnehmenden Schulen/Schulverbünde erhalten Informationen zu den Themen „Sexuelle Gewalt“, „Ritzen“ (auto-aggressives Verhalten), Magersucht und je ein Exemplar der Biografie „Splitterfasernackt“ und des Romans „Bevor ich falle“, damit die Schülerinnen und Schüler wissen, was auf sie zukommt.
  • Bei allen Lesungen ist der WEISSE RING präsent, um Interessierte über Hilfsangebote, Organisationen, Anlaufstellen usw. zu informieren.
Rund 400 Schülerinnen und Schüler und etwa 200 Erwachsene erlebten bei den insgesamt fünf Lesungen „ein kleines bisschen Mensch, aber auch eine großartige Persönlichkeit…, die den mehrfachen Missbrauch in ihren Büchern "Splitterfasernackt", "Winterwassertief" oder "Bevor ich falle" verarbeitete“ (Cornelia Spitz, Schwarzwälder Bote). Lilly Lindner bedankte sich bei den Zuhörern für den Raum, den man ihr für ihre Worte gab. Es waren Lesungen der ganz besonderen Art, denn sie las nicht aus ihren Büchern, sie sprach frei und suchte den Augenkontakt zum Publikum. Die schwere Kost servierte sie wortgewaltig, aber nicht reißerisch, sondern anrührend und vor allem authentisch. Mit ihrem Partner, dem Schauspieler Oliver Neitzel, setzte sie das von ihr Erlebte visuell um, machte den Schmerz sichtbar, aber auch die Hoffnung und ließ sich von ihrem Partner auffangen. Obwohl sie manchmal Angst hat, will sie „das bisschen Courage, das sie in sich gefunden hat, weitergeben und teilen“ (Christian Thiel, Neckarquelle), damit junge Menschen sich nicht verstecken müssen. Viele der Angesprochenen warteten nach den Lesungen geduldig auf ein Vier-Augen-Gespräch mit Lilly Lindner. Wer weitere Hilfe suchte, konnte vom Stand des WEISSEN RINGS Informationen im Gespräch oder in Form von Flyern und Broschüren holen. Die Lesung bei den Zinzendorfschulen in Königsfeld erlebte der Schulpfarrer Christoph Fischer als einen der „emotionalen Höhepunkte“ in den 12 Jahren, in denen er Schulpfarrer in Königsfeld ist. Schüler der Deutenberg-Schulen sprachen in Rückmeldungen die Performance und das Ziel der Lesung an: „Die Gestaltung der Lesung empfand ich als genau richtig, durch die kleinen Schauspieleinlagen konnte man ihre Gefühlswelt viel besser nachempfinden.“ - „Ebenfalls fand ich es sehr gut, dass ich auch die Möglichkeit hatte, persönlich mit ihr zu reden.“ - „Mit ihren Büchern und Vorlesungen bricht sie das Tabu der Betroffenen: das Schweigen. Und sie ruft dazu auf Courage zu zeigen, um den Mitleidenden zu zeigen, dass sie nicht alleine sind.“ Zu den Veranstaltungen reisten Opfer zum Teil von weit her an, um durch und von Lilly Lindner zu erfahren, dass sie nicht allein sind, dass sie eine Stimme haben. Fotos von der Lesungswoche finden Sie in der Fotogalerie unter Autorenlesung mit Lilly Lindner.