In der Corona-Krise wird es zu deutlich mehr Fällen von häuslicher Gewalt kommen als sonst. Davon gehen der Verein „Frauen helfen Frauen“ und die Opferschutzorganisation WEISSER RING aus. „Wir müssen leider mit dem Schlimmsten rechnen“, sagt etwa Jörg Ziercke, Bundesvorsitzender des WEISSEN RINGS. „Die Corona-Krise zwingt die Menschen, in der Familie zu bleiben, hinzu kommen Stressfaktoren wie finanzielle Sorgen und Zukunftsunsicherheit. Diese Spannung kann sich in Gewalt entladen“, warnt Ziercke. „Unsere Opferhelfer kennen das von Festtagen wie Weihnachten: Wenn die Menschen tagelang zu Hause sind, gehen die Fallzahlen in die Höhe. Die Kontaktsperre wegen Corona dauert aber sehr viel länger als Weihnachten, die Stressfaktoren sind auch größer.“
Wie groß die Gefahr ist, belegen aktuelle Berichte aus China, wo Familien zum Teil bereits seit über zwei Monaten in häuslicher Quarantäne leben. In dieser Zeit hätten sich die Hilfegesuche von Gewaltopfern verdreifacht, erklärte eine Sprecherin der Frauenrechtsorganisation Weiping vor kurzem gegenüber der britischen BBC. „Frauen helfen Frauen“ sowie der WEISSE RING befürchten nun auch für den Schwarzwald-Baar-Kreis, dass mit den Corona-Maßnahmen zum „Social Distancing“ viele Gewaltopfer den Tätern ausgeliefert sind.
Die Gewalt geschieht jetzt – sichtbar wird sie aber erst, wenn die Kontaktsperren aufgehoben sind. Das zeigen die Erfahrungen der Opferhelfer nach den Weihnachtstagen: Betroffene melden sich nicht, solange sie mit den Tätern auf engem Raum zusammensitzen. Häusliche Gewalt ist schon in „normalen“ Zeiten ein großes Problem, umso mehr aber in der aktuellen Situation. „Frauen helfen Frauen“ und der WEISSE RING rufen deshalb Familienmitglieder, Nachbarn und Bekannte zu besonderer Achtsamkeit auf.
Rechtsanwältin Birgitta Schäfer, die regelmäßig auch Opfer von häuslicher Gewalt vertritt und im Vorstand des Vereins „Frauen helfen Frauen“ tätig ist, weist darauf hin, dass über das Notruftelefon von „Frauen helfen Frauen“ unter der Nummer 07721/54400 jeden Tag rund um die Uhr eine Sozialpädagogin erreichbar ist. Am Telefon wird anonym und kostenfrei beraten. Bei Bedarf erfolgt eine Vermittlung in eine geeignete Schutzwohnung für Frauen und Kinder. Auch eine Klärung der finanziellen Situation oder eine Kontaktvermittlung zu örtlichen Beratungsstellen kann erfolgen. „Die Hilfe ist für alle Frauen, die häusliche Gewalt ertragen müssen oder mussten und die wegen Problemen in der Partnerschaft Informationen und Aussprache suchen“, wie Frau Schäfer erläutert. Weitere Informationen können der Internetseite www.fhf-sbk.de entnommen werden.
Die Opferhelferinnen und Opferhelfer des WEISSEN RINGS sind unter der bundesweiten Rufnummer 116006, online unter www.weisser-ring.de oder unter der regionalen Telefonnummer 07721/507213 erreichbar. „Wir sind auch in der Zeit der Corona-Pandemie für die Opfer da“, versichert Jochen Link, der die Außenstelle des WEISSEN RINGS im Schwarzwald-Baar-Kreis leitet.
Sowohl Frau Schäfer als auch Herr Link raten aber dringend dazu, in einer akuten Gefahrensituation die Polizei unter der 110 anzurufen. Rechtsanwältin Schäfer erklärt, dass die Polizei die Möglichkeit hat, einen Platzverweis gegenüber dem Verursacher auszusprechen. Darüber hinaus gibt es auch in der derzeitigen Situation die Möglichkeit, beim Familiengericht Anträge nach dem Gewaltschutzgesetz zu stellen, um etwa ein Annäherungs- oder Kontaktverbot zu erwirken und zu erreichen, dass dem Opfer die gemeinsam genutzte Wohnung zur alleinigen Nutzung zugewiesen wird. „Dies ist“, bekräftigt Frau Schäfer, „unabhängig von den Eigentums- oder Mietverhältnissen möglich.“
Im weiteren Verlauf kann auch der WEISSE RING unkompliziert Hilfe leisten, z.B. durch einen Hilfescheck für eine psychotraumatologische Erstberatung und einen Hilfescheck für eine anwaltliche Erstberatung. Max Bammert, Opferhelfer und Präventionsbeauftragter des WEISSEN RINGS für den Schwarzwald-Baar-Kreis nennt als weitere Hilfen die finanzielle Unterstützung bei einem Umzug und bei der Wohnungseinrichtung sowie die Hilfe zur Überbrückung tatbedingter Notlagen, z. B. wenn bei einer Trennung das Einkommen des Täters wegfällt und die betroffene Frau finanziell erst mal über die Runden kommen muss.
Jochen Link hat neben der Gefahr, der Frauen derzeit durch die Corona-Pandemie besonders ausgesetzt sind, noch eine weitere Sorge, nämlich dass auch Kinder in dieser Zeit der Kontaktbeschränkungen gefährdeter sind. „Die soziale Kontrolle und der damit verbundene soziale Schutz durch aufmerksame Erzieherinnen und Erzieher in den Kinderhäusern sowie wachsame Lehrerinnen und Lehrer an den Schulen fällt durch die Kontakteinschränkungen aufgrund der Corona-Pandemie weg“, erklärt Link, der als Opferanwalt viele Missbrauchsopfer betreut. „Gerade jetzt sind andere Familienmitglieder und Nachbarn gefragt, aufmerksam zu sein“, wie er ergänzt. Max Bammert rät, sich bei Verdachtsfällen an das Hilfetelefon „Sexueller Missbrauch“ zu wenden, was kostenfrei ist und auch anonym geht: 0800/2255530. Dort gibt es Unterstützung und Hinweise, was getan werden kann.
Links zu 2 Artikeln im Schwarzwälder Bote:
https://www.schwarzwaelder-bote.de/inhalt.villingen-schwenningen-auf-engstem-raum-mit-dem-taeter.e6ce2412-3eda-451e-b4f7-c7d47d7e0fff.html
https://www.schwarzwaelder-bote.de/inhalt.villingen-schwenningen-corona-krise-hohe-dunkelziffer-bei-haeuslicher-gewalt.54100b9d-a476-4700-b81d-214c6eb354df.html
Link zum Artikel in der Schwäbischen Zeitung:
https://www.schwaebische.de/home_artikel,-hilfsorganisationen-bef%C3%BCrchten-zunahme-an-gewalttaten-_arid,11210578.html